Noah und die Verwaltung –
Probleme mit der Bürokratie
Die Arche Noah im 21. Jahrhundert
(Autor unbekannt)
Nach vielen Jahren sah Gott wieder einmal auf die Erde. Die
Menschen waren verdorben und gewalttätig und er beschloss, sie zu vertilgen,
genau so, wie er es vor langer langer Zeit schon
einmal getan hatte.
Er sprach zu Noah: "Noah, bau mir noch einmal eine
Arche aus Zedernholz, so wie damals: 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30
Ellen hoch. Ich will eine zweite Sintflut über die Erde bringen. Die Menschen
haben nichts dazu gelernt. Du aber gehe mit deiner Frau, deinen Söhnen und
deren Frauen in die Arche und nimm von allen Tieren zwei mit, je ein Männchen
und ein Weibchen. In sechs Monaten werde ich den großen Regen schicken."
Noah stöhnte auf; musste das denn schon wieder sein? Wieder
40 Tage Regen und 150 unbequeme Tage auf dem Wasser mit all den lästigen Tieren
an Bord und ohne Fernsehen! Aber Noah war gehorsam und versprach, alles genau
so zu tun, wie Gott ihm aufgetragen hatte. Nach sechs Monaten zogen dunkle
Wolken auf und es begann zu regnen. Noah saß in seinem Vorgarten und weinte,
denn da war keine Arche.
"Noah", rief der Herr, "Noah, wo ist die
Arche?" Noah blickte zum Himmel und sprach: "Herr, sei mir
gnädig!" Gott fragte abermals: "Wo ist die Arche, Noah?? Da trocknete
Noah seine Tränen und sprach: "Herr, was hast du mir angetan? Als Erstes
beantragte ich beim Landkreis eine Baugenehmigung. Die dachten zuerst, ich
wollte einen extravaganten Schafstall bauen. Die kamen mit der ausgefallenen
Bauform nicht zurecht, denn an einen Schiffbau wollten sie nicht glauben.
Auch deine Maßangaben stifteten Verwirrung, weil niemand
mehr weiß, wie lang eine Elle ist. Also musste mein Architekt einen neuen Plan
entwerfen. Die Baugenehmigung wurde mir zunächst abgelehnt, weil eine Werft in
einem Wohngebiet planungsrechtlich unzulässig sei. Nachdem ich dann endlich ein
passendes Gewerbegrundstück gefunden hatte, gab es nur noch Probleme.
Im Moment geht es z.B. um die Frage, ob die Arche feuerhemmende Türen, eine Sprinkleranlage und einen
Löschwassertank benötige. Auf einen Hinweis, ich hätte im Ernstfall rundherum
genug Löschwasser, glaubten die Beamten, ich wollte mich über sie lustig
machen. Als ich ihnen erklärte, das Wasser käme noch in großen Mengen, und zwar
viel mehr als ich zum Löschen benötigte, brachte mir das den Besuch eines
Arztes vom Landeskrankenhaus ein. Er wollte von mir wissen, was ein Schiffbau
auf dem Trockenen, fernab von jedem Gewässer, solle. Die Bezirksregierung
teilte mir daraufhin telefonisch mit, ich könnte ja gern ein Schiff bauen,
müsste aber selbst zusehen, wie es zum nächsten größeren Fluss käme. Mit dem
Bau eines Sperrwerks könnte ich nicht rechnen, nachdem der Ministerpräsident
zurückgetreten sei. Dann rief mich noch ein anderer Beamter dieser Behörde an,
der mir erklärte, sie seien inzwischen ein kundenorientiertes
Dienstleistungsunternehmen und darum wolle er mich darauf hinweisen, dass ich
bei der EU in Brüssel eine Werftbeihilfe beantragen könne; allerdings müsste
der Antrag achtfach in den drei Amtssprachen eingereicht werden. Inzwischen ist
beim Verwaltungsgericht ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren meines Nachbarn
anhängig, der einen Großhandel für Tierfutter betreibt. Der hält das Vorhaben
für einen großen Werbegag - mein Schiffbau sei nur darauf angelegt, ihm Kunden
abspenstig zu machen. Ich habe ihm schon zwei Mal erklärt, dass ich gar nichts
verkaufen wolle. Er hört mir gar nicht zu und das Verwaltungsgericht hat
offenbar auch viel Zeit.
Die Suche nach dem Zedernholz habe ich eingestellt.
Libanesische Zedern dürfen nicht mehr eingeführt werden. Als ich deshalb hier
im Wald Bauholz beschaffen wollte, wurde mir das Fällen von Bäumen unter
Hinweis auf das Landeswaldgesetz verweigert. Dies schädige den Naturhaushalt
und das Klima. Außerdem sollte ich erst eine Ersatzaufforstung nachweisen. Mein
Einwand, in Kürze werde es gar keine Natur mehr geben und das Pflanzen von
Bäumen an anderer Stelle sei deshalb völlig sinnlos, brachte mir den zweiten
Besuch des Arztes vom Landeskrankenhaus ein. Die angeheuerten Zimmerleute
versprachen mir schließlich, für das notwendige Holz selbst zu sorgen. Sie
wählten jedoch erst einmal einen Betriebsrat. Der wollte mit mir zunächst einen
Tarifvertrag für den Holzschiffbau auf dem flachen Lande ohne Wasserkontakt
aushandeln.
Weil wir uns aber nicht einig wurden, kam es zu einer
Urabstimmung und zum Streik. Herr, weißt du eigentlich, was Handwerker heute verlangen?
Wie soll ich denn das bezahlen?
Weil die Zeit drängte, fing ich schon einmal an, Tiere
einzusammeln. Am Anfang ging das noch ganz gut, vor allem die beiden Ameisen
sind noch immer wohlauf. Aber seit ich zwei Tiger und zwei Schafe von der Notwendigkeit
ihres gemeinsamen und friedlichen Aufenthaltes bei mir überzeugt hatte, meldete
sich der örtliche Tierschutzverein und rügte die artwidrige Haltung. Und mein
Nachbar klagt auch schon wieder, weil er auch die Eröffnung eines Zoos für
geschäftsschädigend hält. Herr, ist dir eigentlich klar, dass ich auch nach der
Europäischen Tierschutztransportverordnung eine Genehmigung brauche? Ich bin
schon auf Seite 22 des Formulars und grüble im Moment darüber, was ich als
Transportziel angeben soll. Und wusstest du, dass z. B. Geweih tragende Tiere
während der Brunftzeit überhaupt nicht transportiert werden dürfen? Und die
Hirsche sind ständig am Schnackeln, wie Fürstin Gloria sagen würde und auch der
gemeine Elch und Ochse denken an nichts anderes, besonders die südlicheren!
Herr, wusstest du das? übrigens, wo hast du eigentlich die Callipepia
caliconica - du weißt schon, die Schopfwachteln und
den Lethamus Discolor
versteckt? Den Schwalbensittich habe ich bisher auch nicht finden können. Dir
ist natürlich auch bewusst, dass ich die 43 Vorschriften der
Binnenmarkt-Tierschutzverordnung bei dem Transport der Kaninchen strikt
beachten muss.
Meine Rechtsanwälte prüfen gerade, ob diese Vorschriften
auch für Hasen gelten.
Übrigens: wenn du es einrichten könntest, die Arche als
fremd geflaggtes Schiff zu deklarieren, das sich nur im Bereich des deutschen
Küstenmeeres aufhält, bekäme ich die Genehmigung viel einfacher. Du könntest
dich doch auch einmal für mich bemühen. Ein Umweltschützer von Greenpeace
erklärte mir, dass ich Gülle, Jauche, Exkremente und Stallmist nicht im Wasser
entsorgen darf. Wie stellst du dir das eigentlich vor? Damals ging es doch
auch! Vor zwei Wochen hat sich das Oberkommando der Marine bei mir gemeldet und
von mir eine Karte der künftig überfluteten Gebiete erbeten. Ich habe ihnen
einen blau angemalten Globus geschickt.
Und vor zehn Tagen erschien die Steuerfahndung; die haben
den Verdacht, ich bereite meine Steuerflucht vor. Ich komme so nicht weiter,
Herr, ich bin verzweifelt! Soll ich nicht doch lieber meinen Rechtsanwalt mit
auf die Arche nehmen?" Noah fing wieder an zu weinen.
Da hörte der Regen auf, der Himmel klarte auf und die Sonne
schien wieder. Und es zeigte sich ein wunderschöner Regenbogen. Noah
blickte auf und lächelte. "Herr, du wirst die Erde doch nicht
zerstören" - Da sprach der Herr: "Darum sorge ich mich nicht mehr,
das schafft schon eure Verwaltung!''